KABI  Nr. 47 / 17. September 1999 
   Kinder- und Jugendschutz
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Projekt 47.6
Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V., 
Landesgruppe Berlin

Netti: Im Internetcafé lernen 

Berlin (pa) – Montags gegen 16 Uhr beschäftigt sich der 14-jährige Florian gern mit Anton, die 13-jährige Karla und ihre gleichaltrige Freundin machen es sich bei Cäsar bequem und der 16-jährige Matthias reserviert sich für den nächsten Tag schon mal Zeit mit Berta. Anton, Cäsar und Berta sind Computer. Sie stehen im Spinnenwerk-Internetcafé, kurz: Netti, in Berlin-Schöneberg. Seit März 1998 gibt es diese Einrichtung für Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren in den Räumen der Erzieherfachschule Pestalozzi-Fröbel-Haus. Von Montag bis Freitag zwischen 16.00 und 19.45 Uhr – von September bis März auch sonntags – können sie sich dort kostenlos und bei Bedarf unter fachlicher Anleitung mit den Möglichkeiten des Internets vertraut machen. Neben dem Internet-Anschluss stehen denjenigen, die sich auch selbst im World Wide Web platzieren wollen, für die Arbeit mit dem PC unter anderem Scanner, Drucker und digitale Kamera zur Verfügung. Zu bestimmten Terminen nutzen auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Jugendarbeit diese Möglichkeiten, um sich über das Internet zu informieren.

Das attraktive Angebot zieht täglich etwa 20 bis 30 junge Besucher ins Netti. Viele von ihnen sind um die 14 Jahre alt und erscheinen regelmäßig. Die meisten sind Realschülerinnen und -schüler, etwa ein Viertel Gymnasiasten. Seit dem Eröffnungstag besuchten zirka 300 Jugendliche das Internetcafé, fast die Hälfte davon waren Mädchen. Nur wenige der Jugendlichen hatten vorher schon die Chance das Internet zu nutzen.

Kommunikation am und mit dem PC

Jugendliche und Computer, Jugendliche und Internet – viele Erwachsene assoziieren bei diesen Stichworten kaum Positives, sie lösen eher Sorge aus. Schnell entsteht das Bild des einsamen Jugendlichen, der in seinem Zimmer sitzt und nur noch mit dem Computer kommuniziert. Neben zunehmender Vereinzelung und daraus folgender Kontaktarmut wird aber besonders befürchtet, dass das Internet den Jugendlichen einen unkontrollierten Zugang zu jugendgefährdenden Inhalten gewährt.

"Nun schützen wir die Jugendlichen nicht, indem wir ihnen den Zugang zu diesem Medium verwehren oder es ihnen ganz entziehen", sagt Reinhilde Godulla, Koordinatorin des Projektes Netti. "Wichtig ist, dass sie lernen mit diesem Medium umzugehen. Das heißt, es mit seinen vielfältigen Informationsquellen nutzen zu können und auch mit eigenen Beiträgen aktiv mitzugestalten." Es dürfe bei allen Bedenken nicht vergessen werden, dass das Internet und die Computertechnik auch in der beruflichen Zukunft der Jugendlichen eine immer größere Rolle spielen. Deshalb sei es wichtig, die Beschäftigung mit dem Internet und den dazugehörigen Techniken in die Jugendarbeit einzubinden. Zum einen leiste das einen Beitrag zur Chancengleichheit für sozial benachteiligte Jugendliche, aber auch für Mädchen, die zumeist nicht auf einen PC zu Hause zurückgreifen können. Andererseits werde dadurch der Anschluss an die Lebenswelt der Jugendlichen aufrechterhalten und dieser Bereich nicht allein und ohne Reflexion und Einflussnahme der kommerziellen Unterhaltungsindustrie überlassen.

Ohnehin, das hab en die bisherigen Erfahrungen im Netti gezeigt, gehen Jugendliche oft ganz anderes an das Medium heran als viele Erwachsene vermuten. Selbst für die Initiatoren des Netti überraschend, stand von Beginn an nicht der Konsum von vorgefertigten Informationen, sondern die Kommunikation an erster Stelle.

"Unser Nutzungskonzept sah zunächst Schwerpunkte an verschiedenen Wochentagen wie zum Beispiel Einführung ins Internet, Internet-Recherche oder die Gestaltung einer Homepage vor", berichtet Reinhilde Godulla, "aber die Jugendlichen wollten vor allem chatten." Bei einem Chat, der Kommunikation über das Netz mit anderen Personen, die in der Regel erdachte Namen benutzen, hatten die Jugendlichen die Möglichkeit unter dem Deckmantel eines neuen Namens auch in neue Rollen zu schlüpfen und mit ihnen zu spielen. Zumeist saßen sie zum Chatten auch nicht allein, sondern mit Freundinnen und Freunden gemeinsam am Computer.

"Wir konnten die Lust der Nutzerinnen und Nutzer nach ‚Chatten bis zum Abwinken‘ einerseits nachvollziehen, andererseits dachten wir, das allein kann es doch nicht sein", sagt Reinhilde Godulla. Die Erfahrung zeigte dann, "dass sie dadurch Sicherheit im Umgang mit dem Medium gewinnen und darauf aufbauend die weiteren Möglichkeiten nutzen. Unser erstes Konzept ging nicht nur an den Interessen der Jugendlichen vorbei, es überforderte sie anfangs auch."

Jugendgefährdende Inhalte waren nicht von Interesse

Bis heute ist das Chatten eine der Lieblingsbeschäftigungen der Jugendlichen. Besonders beliebt ist das "Quizzen", bei dem zum Beispiel Fragen wie "Wie heißt die Hauptstadt von Italien?", "Wo liegt denn Freiburg?", "Ruhrpott, was ist denn das?" per Internet-Gespräch geklärt werden. Aber neben dem Spaß am Spiel bilden sich langsam weitere Interessen heraus. So suchen Jugendliche zum Beispiel über das Netti inzwischen nach Informationen zu freien Lehrstellen. Andere erstellen sich mit viel Fantasie eine eigene Homepage. Auffällig auf diesen Seiten, die je nach technischem Know-how viele spielerische Elemente enthalten, ist auch hier der Wunsch nach Kommunikation. Wie früher bei der Suche nach Brieffreunden stellen sich die Jugendlichen unter anderem mit ihren Hobbys vor und verweisen auf ihre E-Mail-Adresse zur Kontaktaufnahme.

Das Netti hat sich als Treffpunkt Jugendlicher mit gleichen Interessen etabliert. Und dort gehen nicht nur diejenigen ein und aus, die in der Schule oder zu Hause keine Möglichkeiten haben, im Internet zu surfen. "Es kommen auch Jugendliche hierher, die den PC in den eigenen vier Wänden nutzen könnten", sagt Reinhilde Godulla. "Aber hier treffen sie Freunde und wer von ihnen technisch schon versierter ist, kann seine Fähigkeiten anderen Jugendlichen weitervermitteln."

Bei einer Umfrage unter den Besuchern des Netti, aus welchen Motiven sie sich regelmäßig dort einfinden, erhielten die Initiatoren des Internetcafés Antworten wie "um in der ganzen Welt herumzusurfen", "zum Chatten mit allen Menschen der Welt", "um andere kennenzulernen" oder schlicht: "weil es Spaß bringt". Per PC und Internet erobern sich die Jugendlichen in der Regel gemeinsam eine neue Technik und neue Horizonte. Manchen Befürchtungen zum Trotz spielten jugendgefährdende Inhalte "wie zum Beispiel Pornografie", so Reinhilde Godulla, "für die Mädchen und Jungen im Netti nie eine Rolle. Wir haben damit nie Probleme gehabt."

Zwingend notwendig war es allerdings gewisse Nutzungsregeln aufzustellen, damit nicht immer die gleichen Jugendlichen vor den insgesamt fünf Computern sitzen, sondern auch neu hinzukommende Mädchen und Jungen die Chance bekommen das Angebot zu nutzen. Nun trägt sich jeder für gewisse Zeiten mit Anton, Cäsar, Berta, Dora und Emil in ein Buch ein. Die Computer sind in der Regel voll ausgelastet. In den Ferien gibt es außerhalb der regulären Öffnungszeiten noch zusätzliche Angebote für Jugendliche und Jugendgruppen. Einzig in den Sommerferien wurde dies nur wenig nachgefragt. "Da sind die Jugendlichen natürlich lieber im Freibad", stellt Reinhilde Godulla fest. Das Internet ist eben nicht alles, was ihnen Spaß macht. 

Kontakt:
 
Verband für sozial-kulturelle Arbeit
Axel-Springer-Straße 40/41 • 10969 Berlin
Ansprechpartnerin:Reinhilde Godulla
Tel. (0 30) 2 53 99 72 • Fax (0 30) 2 53 99 77
E-Mail: spinne@sozkult.de
Internet: http://www.spinnenwerk.de

Wir über uns: 

Der Verband für sozial-kulturelle Arbeit, Landesgruppe Berlin e.V. ist der Dachverband von zur Zeit 33 selbstständigen Mitgliedseinrichtungen, die in nahezu allen Berliner Bezirken Stadtteilzentren, Stadtteilläden oder Nachbarschaftsheime betreiben. Darüber hinaus ist der Verband überbezirklicher Träger des Projektes "Outreach", einer stadtteilbezogenen mobilen Jugendarbeit mit derzeit 35 Beschäftigten in 11 Berliner Bezirken. Der Verband ist seit 1993 Träger des Jugendmailbox-Projektes "Spinnenwerk" und seit 1995 auch Anbieter im Internet. Im Rahmen dieses Projektes kooperiert der Verband bundesweit, aber insbesondere in Berlin, mit anderen Anbietern von Jugendinformationen. Er stellt allen Trägern der Jugendarbeit in Berlin die Infrastruktur zur Nutzung des Internets kostenlos zur Verfügung.

Das Internetcafé Netti ist eines von zehn Internetcafés für Jugendliche in Berlin. Gefördert werden sie durch die Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport, die Jugend- und Familienstiftung des Landes Berlin, die Mannesmann o.tel.o GmbH und die ressortübergreifende Initiative "Projekt Zukunft – Der Berliner Weg in die Informationsgesellschaft".


 

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